Ich habe Operngesang studiert, weil ich das ultimative Gesamtkunstwerk gesucht habe. Musik, Text, Schauspiel, Tanz, Orchester und alle Gewerke des Theaters in einer grenzenlosen Einheit verschmolzen. Die Oper versprach mir eine Welt, in der nichts getrennt existiert, wo alles ineinander fließt und sich gegenseitig verstärkt.
Dann kam die Ernüchterung.
Das Orchester probte bis zu den Endproben für sich, die Sänger ebenso. Die Regiekonzeption entstand lange bevor andere Akteur*innen einbezogen wurden, die Mitarbeiter*innen der anderen Gewerke traf man erst spät im Prozess. Erst ganz am Ende wurde alles zusammengefügt. So wie Puzzleteile, die nebeneinander gelegt werden, ohne wirklich zu verschmelzen. Das Gesamtkunstwerk war für mich eine Illusion der Zusammenstellung, nicht der Zusammenarbeit.
Das fühlte sich nicht richtig an. Ich wollte mehr.
Ich habe versucht Grenzen auszudehnen. Meine eigenen und die der verschiedenen Genres. Genau dort arbeite ich heute. Da, wo sich verschiedene Welten berühren, ohne dass vorher schon entschieden ist, was daraus wird.
An der Schwelle, im Übergang, im Prozess. Dort, wo noch nichts festgelegt ist. Dort, wo Neues möglich wird. Ich habe aufgehört zu warten, bis verschiedene Kunstformen erst am Ende zusammenkommen. Ich möchte lieber gemeinsam mit allen dort beginnen, wo sie sich berühren.
Meine klassische Ausbildung gibt mir das technische Fundament, um frei zu arbeiten. Aber mich interessiert das, was außerhalb des Kanons liegt. Ich arbeite in Formaten, die nicht in Schubladen passen: „Live Animation Cinema“, kollektives Theater, Klanginstallationen. Projekte, die schon in der Entstehung interdisziplinär denken.
Grenzen auszudehnen bedeutet, Transformation zuzulassen. Nicht zu wissen, wohin etwas führt, aber offen zu bleiben. Mich interessieren Fragen mehr als Antworten. Ich glaube an die Magie des Unfertigen, an den Raum dazwischen.
Wenn ich auf der Bühne stehe, ob in einer Oper oder einer experimentellen Performance, wird jede Rolle zu einer Einladung. Eine Einladung, gemeinsam neue Sichtweisen zu erkunden, ohne zu urteilen, ohne fertige Antworten zu liefern. Die besten Abende sind die, nach denen das Publikum noch stundenlang diskutiert, weil sie eingeladen wurden, die Welt durch andere Augen zu sehen.
Mein Ziel ist nicht, fertige Antworten zu liefern, sondern Räume zu öffnen. Für mich gibt es keine Grenzen zwischen den Genres, zwischen klassischer Oper und Eigenkompositionen, zwischen dem Vertrauten und dem Unerwarteten.
Kunst hat diese wunderbare Gabe: Sie kann uns dazu bringen, innezuhalten und zu fragen: „Was wäre, wenn…?“ In den Schwellenräumen zwischen den Welten entstehen die interessantesten Antworten.
Das Gesamtkunstwerk, das ich in der Oper suchte? Ich erschaffe es jetzt selbst. Nicht als fertiges Produkt, sondern als lebendigen Prozess. Als Raum für Begegnungen zwischen Welten, die sich sonst nie berührt hätten.